6. Kapitel: Die Klassenfahrt

6. Kapitel: Die Klassenfahrt

21. Juni 2023 Allgemein 0

In den drei Tagen vor der Klassenfahrt unternahm ich sehr viel mit Noah, Rachel, Noemi, Laura und Kane. Tatsächlich war aus dem anfänglichen Gespräch mit Kane innerhalb drei Tage eine Freundschaft geworden und so bildeten wir sechs die erste Clique in unserer Klasse. Drei Tage unternahmen wir alles gemeinsam, luden einander nach Hause ein, arbeiteten in Gruppen-Arbeiten immer zusammen, saßen in den Pausen und in der Cafeteria an einem Tisch, der schnell unser Stammtisch wurde, bearbeiteten Hausaufgaben bei einem von uns sechsen Zuhause und machten Ausritte auf meiner Farm. Rachel war ziemlich froh, dass ich so gesellig war, denn alleine hätte sie mit ihrer schüchternen Art keine oder wenig Freunde gefunden. Laura, die selbst ebenfalls zurückhaltend war, hatte sich einfach an Noemi gehängt, sich aber schnell uns allen gegenüber geöffnet, als sie gemerkt hatte, wie offen und gesprächig wir waren.
Am zweiten Tag waren wir sechs schon so gut miteinander befreundet und die meiste Zeit verbrachten wir auf der Ranch meiner Familie.

Am ersten Tag lud ich Kane, Noah, Laura, Rachel und Noemi zu mir nach Hause ein und zeigte ihnen alles. Noah kannte sich schon aus und übernahm ab und zu die Führung. Er bewegte sich so lässig, als sei ihm das alles schon seit Kindertagen auf vertraut. Alle sechs waren begeistert von den verschiedenen Ställen, den vielen Tieren, aber am liebsten hatten sie den Dachboden.
Bereits am dritten Tag, kurz vor der Klassenfahrt verabredeten wir uns auf dem Dachboden und ich backte zum Empfang Cookies und kochte heiße Schokolade. Noah brachte Bücher mit, Kane ein paar Kartenspiele, Noemi eine Gummibärchen-Box und Rachel und Laura kamen mit einigen Unterlagen im Handgepäck, um zu überprüfen, ob jeder an alles gedacht hatte.
So saßen und lagen wir gerade im Stroh, Kane lehnte an einem Heuballen und wir anderen taten uns an den Snacks gütlich, da fragte Noah: „Bringt ihr Spiele mit?“
„UNO.“, schlug ich vor.
„Mastermind?“, kam es schüchtern von Rachel.
„Wie lange dauert die Klassenfahrt?“, rief Noemi laut.
„Drei Tage.“, antwortete ich. „Am Samstag fahren wir wieder zurück.“
„Nehmt ihr Snacks mit?“, bat Noah.
„Ist verboten.“, bedauerte Noemi. „Dort gibt es aber ein, zwei Snack-Automaten.“
„Wo?“, fragte Kane.
„Im Schullandheim am Blackbird-Lake.“, warf ich ein.
Laura verzog entzückt ihr Gesicht. „Mister Nolan hat gesagt, dort gibt es massenhaft Wildtiere. Wir werden sogar eine Tour durch den Wald machen mit einem Ranger. Und angeln werden wir angeblich auch.“
„Hoffentlich.“, meinte ich.
Kane schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht angeln.“
Noah setzte sich schwungvoll auf. „Ich bring’s dir bei. Ist ganz leicht.“
„Hab mich informiert. In der Nähe soll es eine Pferderanch geben. Vielleicht gehen wir reiten.“, sagte ich hoffnungsvoll.
„Oh nein.“, stöhnte Noemi und rieb sich ihr Gesäß. „Mein Hintern tut jetzt schon ganz weh.“ Kane verdrehte genervt die Augen und äffte Noemi nach. Sie grinste und streckte ihm die Zunge raus.
„Habt ihr an einen Regenponcho gedacht?“, fragte ich in die Runde.
Noah schaute von seinem Buch auf. „Es sollen bis zu dreißig Grad werden.“, bemerkte er stirnrunzelnd und sah mich an, als wäre ich nicht ganz bei Verstand.
„Und mein Wetterbericht sagt, dass es in Strömen regnen soll.“, warf Noemi sarkastisch ein. „Hast du Blackbird Butte eingegeben?“, fragte Kane.
„Gib mir mal jemand noch so’n Cookie?“, bat Rachel mich leise. Ich reichte ihr zwei. „Was meint ihr?“, wandte ich mich an die anderen. „Sollen wir Geld mitnehmen?“ Kane zuckte mit den Schultern. „Kann nicht schaden.“
Noah schüttelte den Kopf. „Da jage ich uns lieber einen Grizzly.“
„Das möchte ich sehen!“, riefen wir anderen wie aus einem Mund und brachen dann in Lachen aus. „Hoffentlich treffen wir auf keinen Grizzly.“, murmelte Rachel ein wenig sorgenvoll.
„Kannst du vergessen. Die trauen sich keine zehn Meilen an eine Menschensiedlung heran.“, winkte Kane ab.
„Darf ich dich daran erinnern, dass wir in einer verdammt kleinen Hütte in der verdammten Wildnis sitzen werden?“, entgegnete Noemi spitz.
„So klein ist sie auch wieder nicht.“, fügte ich an.
„Habt ihr schon alles eingepackt?“, warf Noah in die Runde.
„Nicht ganz. Mir fehlen noch solche Waldläufer-Stiefel.“, bedauerte Kane.
Ich verdrehte die Augen. „Du packst aber auch erst in den letzten Minuten.“
Noah drückte auf die Halli-Galli-Klingel. „Das ist falsch.“
Wir anderen lachten. „Wie findet ihr eigentlich unseren Lehrer?“, fragte ich nach einer Weile, denn das seltsame Gefühl, dass ich bei Mister Nolan verspürt hatte, war nicht weggegangen.
„Nett.“, meinte Kane.
„Jung und gutaussehend.“, scherzte Noemi, folgend Noah wieder auf die Klingel drückte und „Das ist falsch.“ sagte, woraufhin wir alle wieder lachen mussten.
„So jung nun auch wieder nicht.“, meinte Kane.
„Er ist irgendwie komisch.“, gab Laura zu Bedenken. „Ich hab kein gutes Gefühl bei ihm.“ „Ich auch nicht.“, meldete sich Rachel aus ihrer Ecke und erleichtert gab ich ebenfalls zu: „Ich fühle mich genauso wenig wohl in seiner Gegenwart. Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendwie wirkt er so seltsam von seinem Verhalten her.“
Kane runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Er ist irgendwie… zu freundlich.“, meinte Laura und wir anderen nickten.
Noemi blickte verwundert von einem zum anderen. „Wie kann man denn zu freundlich sein?“
„Mir kommt es so vor, als würde er versuchen ein freundschaftliches Verhältnis zu uns Schülern aufzubauen.“, murmelte ich und erntete von Kane, Noemi und Noah verständnislose Blicke. „Ich verstehe, was du meinst.“, warf Laura ein. „Er geht nicht auf diese gewohnte Distanz. Er will uns näherstehen und da fühle ich mich unwohl, wenn er sich bemüht eine Freundschaft zu uns aufzubauen.“
„Und ist das schlecht?“, fragte Noah verwundert.
„Mädels, ihr übertreibt.“ Kane schüttelte sorglos den Kopf. „Zurück zum Thema.“
„Wie viele Betten gibt es pro Zimmer?“, fragte Noah. „Vier Betten pro Zimmer, maximal sechs.“, wusste ich zu berichten.
„Was hast du denn erwartet?“, fragte Laura mit ernster, ruhiger Stimme.
„Dann müssen wir beide uns noch zwei Partner suchen.“, wandte sich Kane ohne auf die Frage einzugehen an Noah. „Wie wäre es mit Lars oder Drew?“, schlug er vor. Kane nickte zufrieden. „Gebongt.“
„Leider gibt es keine Zwei- Betten- Zimmer.“, bedauerte Rachel.
„Wieso leider?“, hakte ich nach.
„Weil mir zwei weitere Leute zu viele Menschen sind.“, gab Rachel zu.
„Hä?“, machte Noemi. „Wir schlafen alle zu viert in einem Zimmer.“
„Da musst du durch.“, sagte ich mit bedauernder Miene zu Rachel, die mich mit einem seltsam verletzten Gesichtsausdruck ansah.
„Wann kommt der Bus?“, fragte ich, um diesen Blick zu ignorieren und sah Noah an.
„Um acht.“ Er lächelte mir zu.
„Na dann!“ Kane klatschte abenteuerlustig in die Hände und grinste uns an. „Das wird spaßig,  Freunde. Morgen um für drei Tage in die Wildnis!“ „Als ob das hier nicht schon Wildnis genug wäre.“, meinte ich trocken. Noah lachte.

So war es dann auch. Um 8 Uhr standen die Schüler des achten Jahrgangs am Eingang des Schulgeländes und warteten auf zwei gelbe Reisebusse, die kommen sollte. Vier Lehrer würden uns auf dieser Fahrt betreuen. Mr. Nolan, Mrs. Johnson, Mr. Henry und Mrs. Buglesmith.
Ich war erleichtert gewesen als ich das gehört hatte, denn aus einem undefinierbaren Grund traute ich Mr. Nolan immer noch nicht über den Weg und hatte mich ein klein wenig gefürchtet mit ihm allein auf Klassenfahrt zu fahren.
Die meisten Schüler waren bereits da und einige wurden gerade von ihren Eltern abgesetzt. Einige Schüler saßen auf ihren Koffern, andere hielten ihre so stark umklammert, als müssten sie befürchten, dass jemand ihnen ihr Gepäck klauen wollte, andere wiederrum hatten ihre Koffer einfach irgendwo rumstehen.
Mom bog um die Ecke und hielt an der Straße. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Hab Spaß und pass auf dich auf.“, sagte sie und lächelte aufmunternd.
„Mach ich, bis in drei Tagen, Mom.“ Und damit öffnete ich die Autotür, kletterte aus dem Auto, holte meinen Koffer aus dem Kofferraum (meinen Rucksack hatte ich bereits auf dem Rücken) und wanderte Richtung Schüler.
Nun meldete sich doch ein aufgeregtes Kribbeln. Hoffentlich waren meine Klassenkameraden schon da. Drei Tage ohne Mom, ohne meine Geschwister, ohne die Pferde, ohne Montana, ohne die Farm. Puh, ich hoffte, dass ich es aushalten würde. Ein kleiner Kloß bildete sich in meinem Hals. Bisher hatte ich nur ein paar Mal bei Rachel übernachtet. So ganz ohne Familie, nur mit fremden Lehrern und fremden Schülern…
In diesem Moment legte jemand urplötzlich seine Hände auf meine Schultern. Ich fuhr zusammen und als ich mich umdrehte, blickte ich in das strahlende, fröhliche Gesicht von Noah. Sofort verging meine Sorge und der Kloß löste sich auf.
„Hey Noah.“ Er grinste breit. „Na, aufgeregt?“
„Ein bisschen.“, gab ich zu. Lächelnd legte er mir seinen Arm auf die Schulter und mir wurde gleich wärmer. „Keine Sorge, es sind nur drei Tage und die verbringst du mit uns.“, beruhigte er mich. „Sind Rachel, Kane, Laura und Noemi schon da?“, fragte ich und verdrängte alle negativen oder besorgten Gedanken. Noah nickte. „Ich habe sie bereits gesehen. Dort.“ Mit seinem Zeigefinger deutete er in die Menge und da entdeckte ich Noemi, die sich laut lachend mit Laura und Kane unterhielt.
Schnell nahm ich meinen Koffer und folgte Noah durch die Menge, bis wir unsere drei anderen Freunde erreicht hatten. „Hey.“, sagte ich lächelnd in die Runde und wurde sogleich von Kane, Laura und Noemi gleichzeitig umarmt, sodass ich fast nach hinten fiel. Jetzt waren meine sorgenvollen Gedanken endgültig verschwunden und lachend erwiderte ich die herzlichen Umarmungen. „Aufgeregt oder fröhlich?“, fragte ich in die Runde. „Fröhlich!“, kam es von Kane.
„Beides!“, riefen Laura und Noemi und klammerten sich aneinander. Ich lachte glücklich. „Wir werden einen Riesenspaß haben.“, war ich mir sicher. „Wir werden angeln, reiten, Kanu fahren, die Wildnis erforschen.“
Noemi unterbrach mich. „Ich hoffe, dass wir aber auch Zeit finden für Kartenspiele oder eine gemeinsame Runde mit Snacks und Drinks.“
„Mr. Nolan hat doch gesagt, dass Snacks verboten sind.“, erinnerte ich sie mit einem enttäuschten Lächeln.
Noemi grinste frech. „Ich weiß, aber…“ Mit einem verschwörerischen Grinsen kramte sie aus ihrem Rucksack eine Packung Sour-Patch-Kids, eine Tüte Jelly-Beans und „Goldfish“-Crackers aus ihrem Rucksack.
Kane lachte und sagte vergnügt: „Du konntest es nicht lassen, wie?“
Noemi wurde ein wenig rot und verteidigte sich. „Drei Tage ohne Süßigkeiten? Lieber sterbe ich.“
„Bist du sicher?“, erwiderte Noah und zog seine rechte Augenbraue so hoch, dass sein fragendes Gesicht zu komisch aussah und wir alle lachen mussten.
„Aber gut.“ Er seufzte und reichte Noemi fünf Cent. Verdutzt blickte ich von einem zum anderen. „Was hat das jetzt zu bedeuten?“
Noemi grinste siegesgewiss. „Wette gewonnen.“
Und Noah erklärte: „Wir haben abgemacht, dass sie trotz des Süßigkeiten-Verbotes Snacks mitschmuggelt.“
„Jetzt musst du sie nur noch ins Landheim schmuggeln.“, meinte ich und schüttelte zweifelnd den Kopf.
Noemi grinste. „So gut wie erledigt.“ Damit verschwanden die verlockenden Süßigkeiten ganz schnell wieder tief in ihrem Rucksack.
Kane holte aus seinem Portemonnaie plötzlich zehn Cent hervor und reichte sie an Noah, der das Geld dankend annahm und an Noemi gewandt, die ein langes Gesicht zog, triumphierend berichtete: „Um auf Nummer sicher zu gehen, habe ich mit Kane gewettet, dass ich es schaffe, dich zu dieser Wette zu bringen. Jetzt habe ich das doppelte zurückerhalten.“
„Hey!“, rief Noemi und ihr langes Gesicht wandelte sich in ein empörtes. „Das gilt nicht!“ Noah blieb lässig. „Und ob das gilt.“
Wir vier brachen in Lachen aus und schließlich stimmte Noemi mit ein.
„Aber trotzdem schön, dass du Snacks mitgenommen hast.“, meldete sich Laura ruhig. „Und mutig.“, fügte ich scherzhaft hinzu.

Da fuhren die Busse an und ich sah, dass die Klassen sich sammeln mussten. Fragend blickte ich zu Noah, der, als wir in Zweier-Paaren in einer Reihe standen, hinter mir stand und fragte: „Wo bleibt denn Rachel?“
Noah zuckte mit den Schultern. „Mir hat sie nicht geschrieben.“
Wir hatten bereits am zweiten Tag untereinander Nummern getauscht und eine Whatsapp-Gruppe gegründet. Sorgenvoll spähte ich an den Schülern vorbei und versuchte Rachel zu finden, aber sie schien nicht da zu sein.
Als wir in die Busse einstiegen, wurde ich immer nervöser. Schließlich wandte ich mich an Mr. Nolan, der neben Mrs. Buglesmith auf der linken Seite, in der vordersten Reihe des ersten Busses saß.
„Wissen Sie, was mit Rachel los ist? Sie müsste eigentlich schon da sein.“
Mister Nolan zuckte ratlos mit den Schultern. „Ihre Mutter hat sich nicht gemeldet, aber der Bus fährt sowieso erst in zehn Minuten los.“, meinte er und ich ging und setzte mich in die dritte Reihe, auf die linke Seite. Jetzt saß ich allein auf meinem Platz. Vor mir waren zwar Laura und Noemi, aber eine ganze Fahrt allein zu sitzen, machte keinen Spaß. Schließlich wollten die zwei sich auch nicht ständig zu mir umdrehen und über die hohen Sitze lugen. Noah kam angelaufen, sein Koffer war bereits verstaut, sein Rucksack hing ihm halb über die Schulter.
„Hey, ähm, Rachels Mom hat mich gerade angerufen. Rachel ist leider plötzlich erkrankt. Sie kommt nicht mit.“
Mir sank das Herz. Drei Tage ohne meine beste Freundin und zwei Fahrten alleine auf einem Platz. Der Kloß in meinem Hals lebte wieder auf.
„Okay…“, versuchte ich zu lächeln, aber es gelang mir nicht recht.
Noah blickte mich zögerlich an. „Hättest du was dagegen, wenn ich neben dir sitze?“, fragte er und lächelte aufmunternd.
Ich machte große Augen. „Echt jetzt?“
Dankbar strahlte ich ihn an und brauchte keine Worte, denn er ließ sich neben mich auf den zweiten Sitz plumpsen.
„Und was ist mit Kane?“, fragte ich verwundert. „Der sitzt neben Lars.“, wusste Noah zu berichten. Er grinste mich an und hob die Augenbrauen.
„Okay…hast du Lust Musik zu hören?“, fragte er. Ich nickte. Bereitwillig zog er einen MP3-Player aus der Jackentasche, steckte einen Kopfhörer-Splitter für zwei hinein und nahm zwei Kopfhörer-Kabel aus der Jacke.
Staunend blickte ich ihn an. „Wow, du denkst an alles.“
Noah zuckte mit den Schultern. „Habe ich immer dabei.“

Die Fahrt über hörten wir Musik und fuhren etwa zweieinhalb Stunden. Es ging aus der Stadt und hinaus auf’s Land. Vorbei an dunklen Wäldern, weiten Mais-, Raps- und Weizenfeldern, über schmale Dorfstraßen, durch kleine Dörfer, unter alten Holzbrücken durch, durch kleine Dörfer und an Farmhäusern vorbei. In einiger Entfernung sahen wir Rehe oder Füchse. Einmal sogar mussten wir ganz langsam fahren, weil vor uns über die Straße eine Büffelhorde trabte. Neugierig öffneten wir die Fenster, starrten hinaus und machten Fotos. Dann sahen wir in weiter Ferne einige hohe Berge und tiefe Schluchten.
Dann ließen wir die Berge und Schluchten hinter uns, fuhren an einem Canyon vorbei und dann dösten wir eine Weile vor uns hin, als wir nur noch an Feldern und Äckern vorbeikamen. Schließlich fuhren wir einen hohen Hügel hinauf und die Busse hielten auf einem kiesbestreuten, breiten Platz auf dem ein Landhaus stand. Es war groß, aus Holz und Backsteinen gebaut und machte alles in allem einen freundlichen, einladenden Eindruck trotz seiner Größe. Ein Kiesweg führte direkt auf das Haus zu und zwei weitere führten drumherum, hinunter zum Ufer eines breiten Sees. Blackbird Butte! Staunend schauten wir aus den Fenstern. Mr. Nolan stand auf und wandte sich mit einem positiven Lächeln an uns. „So, wir sind angekommen! Holt zuerst alle eure Koffer und reiht euch mit eurem Sitznachbarn in eine Schlange ein. Damit niemand seine Gruppe verliert, sammeln sich nur die Klassenkameraden zusammen.“
Mit einem Nicken zu Noah standen wir beide auf, nahmen unsere Rucksäcke und schlängelten uns an den Schülern und Sitzen vorbei, sprangen die Stufen hinunter und standen auf dem Sandplatz vor dem großen Landhaus. „Wow!“, entfuhr es mir und Noah lächelte mir zu. Dann ergriff er meine Hand. Das Gefühl seiner Hand hatte etwas Schönes, Beruhigendes. Sie war warm und weich und ich fühlte mich sicher, als er so dastand und wir gemeinsam, Hand in Hand, zu dem Kofferraum gingen, um unser Gepäck entgegenzunehmen. Dabei ließ er meine Hand los und fast augenblicklich fühlte sich meine kühl an. Als fehlte etwas, was dorthin gehörte.

Wir wurden von den Leitern des Landhauses und einem Park-Ranger begrüßt – er war ein großer, kräftiger Mann um die vierzig mit blauen Augen und nussbraunem Haar –, holten uns aus der Kantine Lunchpakete, die für jeden zubereitet worden waren und sogleich wurden die Zimmer verteilt. Die Jungen unserer Klassen kamen in den zweiten Stock, die Mädchen durften unters Dach, was mir besonders gefiel. Ich schlief schon seit Ewigkeiten unterm Dach und konnte es mir ohne die hölzerne Dachschräge gar nicht gemütlich vorstellen.
Tatsächlich durften wir Mädchen als erste die Zimmerverteilung aussuchen und sofort schossen unsere Arme in die Höhe, als gefragt wurde, wer mit wem in einem Zimmer sein wollte. „Laura, Noemi und ich.“, rief ich sofort und dem wurde auch zugestimmt. Begeistert stürmten wir in das ausgewählte Zimmer und sahen uns um. Zwei nebeneinanderstehende Betten an der Dachschräge auf der linken Wand, ein Bett auf der gegenüberliegenden Seite. „Perfekt!“, jubelte Noemi und warf ihren Rucksack auf das einzelne Bett. Es gab sogar noch drei Stühle, einen Tisch und zwei Schränke, in denen wir sogleich unsere Sachen verstauten.
Innerhalb von zehn Minuten hatten wir uns so richtig breitgemacht, die Fenster zum Lüften geöffnet, ließen ein bisschen Musik über Lauras Bluetooth-Box spielen und spürten den warmen Wind, der durchs Fenster hineinblies und unsere Gesichter streichelte.
Da klopfte es an der Tür. Überrascht blickten wir uns an und nach einem kurzen Zögern öffnete Laura.
Noah und Kane standen vor der Tür und grinsten uns wie hungrige Haifische an. „Was soll das?“, fragte Laura ungerührt und kein bisschen überrascht. Die beiden hörten auf zu grinsen und lugten durch den Türspalt. „Können wir reinkommen?“ „Klar!“, riefen Noemi und ich wie aus einem Mund. Kane und Noah traten ein und sahen sich um. „Cooles Zimmer.“, kommentierte Noah und lächelte uns an. „Habt ihr Leute, mit denen ihr euch euer Zimmer teilt?“, fragte ich neugierig. Kane antwortete. „Jap, zwei Jungen. Lars und Henry.“
„Lars? Der Schwede?“, hakte ich nach. „Halbschwede.“, korrigierte Kane.
„Ey, aber, Henry kommt gar nicht damit klar, dass er jetzt drei Tage lang kein elektrisches Gerät benutzen kann. Er hat seine Sachen gar nicht erst ausgepackt und hockt nur auf dem Bett und weint.“, erzählte Noah.
Wir Mädchen rissen überrascht die Augen auf. Noah fügte scherzend hinzu: „Ich hab ja MP3-Player mitgenommen, aber ansonsten gibt es hier keine elektronischen Geräte. Naja, außer die Lichtschalter und die Klospülung.“ Wir mussten lachen. Er lehnte sich an den Holzbalken an der Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. „Kommt ihr?“ Lars steckte plötzlich und unerwartet den Kopf durch die Tür. „Mr. Nolan ruft unsere Klasse zusammen.“

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