Was danach geschah

Was danach geschah

14. Mai 2024 Roman 0

Was ging den Pevensie-Geschwistern wohl durch den Kopf nachdem sie gerade wieder den Wandschrank verlassen hatten? Wie mochten sie sich wohl gefühlt haben, 15 Jahre in einem Land zu leben und plötzlich wieder im Landhaus des alten Professors zu sein, zur selben Stunde am selben Tag? 

 

Lucy saß unter der alten Linde am Haus des Professors Digory Kirke und blickte hinauf in die grüne Blätterkrone, durch die das Sonnenlicht fiel. Immer wieder versuchte sie sich klarzumachen, dass sie nicht mehr in Narnia war. Sie war auch nicht mehr Königin Lucy die Tapfere, sondern nur noch Lucy Pevensie aus Finchley.
„Ich fasse es einfach nicht.“ Kopfschüttelnd und die Hände in den Hosentaschen vergraben, kam Peter über die helle Wiese gelaufen. „Da haben wir vor weniger als einer Stunde noch den weißen Hirsch durch die Wälder Narnias gejagt und jetzt sind wir wieder hier.“, sagte er und blickte sichtlich aufgewühlt und unzufrieden drein.
Lucy seufzte und nickte. „Und jetzt sind wir fern von Narnia, fern von Aslan…“ Sie seufzte und brach ab, als sich jetzt auch Edmund und Susan dazugesellten. Edmund hatte einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht, während Susan aussah, als müsste sie ein paar Kinder zum hundertsten Mal davon überzeugen, dass es keine Drachen gibt. „Ich finde, wir sollten das alles hinter uns lassen.“, meinte die praktische Susan.
„Einfach hinter uns lassen?“ Peter sprang auf und ließ seiner Wut freien Lauf. „Wir waren Könige und Königinnen, haben Kriege geführt, Jagden gemacht, Feste gefeiert! Wir haben Riesen bezwungen und Armeen befehligt! Susan, du wärst beinah an Prinz Rabadash verheiratet worden!“
Peter holte tief Luft und Edmund legte ihm beruhiged die Hand auf die Schulter. Susan wurde bei der Erwähnung des selbstsüchtigen, tyrannischen Kalormenen-Prinzen ein wenig blass. „Erinnere mich nicht daran.“, murmelte sie, als Peter und Edmund sich neben Lucy niederließen, die Peters Wutausbruch schockiert beobachtete.
Schnell hatte die ehemalige Königin von Narnia sich wieder gefasst und fuhr in belehrendem Tonfall fort: „Aber das war einmal. Wir sind nicht mehr in Narnia, wir sind auch keine Erwachsenen mehr. Wir sind wieder in England und es herrscht Krieg.“
„Gerade eben haben wir selbst noch Kriege gewonnen und waren Könige.“, fiel Edmund ihr mit ruhiger Stimme ins Wort. Susan zuckte bloß mit den Schultern und meinte wegwerfend: „Daran können wir nichts ändern, wir sind nun mal hier.“ Sie blickte Peter an. „Gewöhn dich besser dran.“
„Meint ihr“, meldete sich nun Lucy mit geheimnisvoller Stimme, „es gibt einen Weg zurück? Könnten wir noch einmal nach Narnia gelangen?“
Peter stützte seine Hände ins Gras, schaute in den blauen Himmel und knurrte entschlossen: „Ich würd’s drauf ankommen lassen.“
Edmund sah ihn neugierig an. „Was hast du vor?“
„Denselben Weg zurück nach Narnia gehen, wie wir gekommen sind und weitermachen, wo wir aufgehört haben.“, beschloss Peter in eigensinnigem Ton. Lucy seufzte verträumt. „Aslan wiedersehen, Mister Tumnus zum Tee einladen.“ Sie deutete auf Peter. „Du könntest die Grenzen zu Kalormen absichern und die Riesen aus dem Norden in ihre Schranken weisen.“
Edmund grinste unternehmungslustig. „Wir könnten Jagden veranstalten! Möglicherweise fangen wir dann den weißen Hirsch. Und die Kristallpracht muss repariert werden. Bei der letzten Seeschlacht hat sie ganz schön was abbekommen.“ Ein kämpferischer Ausdruck trat in seine Augen. Nun wurde Susan ärgerlich. „Ohne mich!“, rief sie, „das hat doch keinen Sinn! Wir können nicht einfach zurück und da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Hier vergeht die Zeit auch und wir müssen nach dem Sommer wieder nach Hause zu Vater und Mutter.“
Bei der Erwähnung der eigenen Eltern wurden die anderen Geschwister plötzlich ruhig. Jeglicher Kampfgeist verschwand aus den Augen der Jungen. Einige Momente lang herrschte Stille, der Baum über ihnen rauschte leise und die Vögel zwitscherten.
Schließlich seufzte Peter geschlagen: „Du hast Recht, Susan. Wir können nicht da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Uns bleiben nur die Erinnerungen.“
„Aber es sind gute Erinnerungen.“, ergänzte Edmund schmunzelnd. „Und Abenteuer.“
Peter erhob sich. „Wer hat Lust auf ein kleineres Abenteuer? Baseball?“
„Bin dabei!“ Susan und Edmund erhoben sich ebenfalls und folgten ihrem Bruder über die Wiese.
Nur Lucy blieb zurück und lehnte traurig den Kopf an den Baumstamm. Wie gern würde sie zurück. Wie konnte es sein, dass der Kampf gegen die Hexe, die Schlacht am Sturmkopf in Archenland und die lange Seereise zu den Einsamen Inseln so weit weg und so weit zurücklagen?
Aber war es wirklich so lange her?
Hatten sie nicht erst vor wenigen Stunden Narnia durch den Wandschrank erreicht? Doch wieso fühlte es sich an, als seien sie zwanzig Jahre dort gewesen? Oder länger!
Lucy vermochte es nicht zu begreifen. Sehnsuchtsvoll dachte sie an den lieben, alten Mister Tumnus, die freundlichen Zwerge, die sprechenden Tiere und vor allem an Aslan.
Würde sie sie je wiedersehen?

Es war Nacht, der Mond kaum zu sichtbar und nur ab und zu blitzte ein Stern zwischen den dunklen Regenwolken hervor.
Lucy schlüpfte aus den kratzigen Decken und warf einen Blick auf Susan, die im Bett neben ihr leise murmelnd schlief.
So leise wie möglich schlich Lucy hinaus in den Flur und die Treppe hinauf zum geheimnisvollen Hinterzimmer, in dem der Wandschrank stand. Vorsichtig drehte sie den Türknauf herum, schritt langsam ins Zimmer und auf den magischen Schrank zu. Gerade hatte sie ihn erreicht, öffnete die Tür und schaute hinein, da hörte sie Schritte.
Hastig drehte sie sich um, doch zu ihrer Überraschung war es nicht Susan oder Peter, sondern der Professor. Er lehnte mit verschränkten Armen an dem Fensterrahmen in der Nähe der Tür und nahm seine Pfeife aus dem Mund. „Ich denke nicht dass du auf diesem Weg zurückkommst.“, meinte er beinah traurig und kam auf sie zu. Er lehnte sich an den Schrank und murmelte: „Ich hab es selbst bereits versucht.“ Er warf einen Blick in den dunklen Schrank und Lucy konnte ihre Verzweiflung und Enttäuschung nicht mehr zurückhalten. „Werden wir jemals zurückgehen?“ Sie sah den Professor flehend an. Er hob die Augenbrauen. „Davon geh ich aus.“, sagte er und schloss die Schranktür. Lucy war erleichtert und wollte schon etwas erwidern, da sagte der Professor: „Aber es wird wahrscheinlich eine Weile dauern bis dahin. Und ich vermute, es wird dann passieren, wenn ihr es am wenigsten erwartet.“
Lucy lächelte, ein Stein fiel ihr vom Herzen. Dann war es also doch noch nicht vorbei. Sie nahm die Hand des Professors und gemeinsam gingen sie aus dem Zimmer, in dem das Abenteuer angefangen hatte.
„Halte am besten deine Augen offen.“, riet er ihr und zwinkerte ihr freundschaftlich zu.

 

„Diese Geschichten wird es nicht mehr geben. Aber warum versuchst du nicht, ein paar narnianische Geschichten zu schreiben? Ich habe in deinem Alter mit dem Schreiben angefangen, und es hat mir großen Spaß gemacht. Versuch es doch!“ – C. S. Lewis

 

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